WINTER 1995/1996 S. 61-62 |
Liste der Zeichner des Aufrufs zu Generalständen für die Zukunft |
Mit der Fahrstuhlmusik abwärts in die U-Bahn |
Ich steige aus dem Bus aus und bin in der S-Bahn-Station Auber. Über einem Fahrstuhl leuchtet ein „Abfahrt” auf, ich steige ein, hier ist keine Musik. Mittwoch, 17 h 15, Hauptverkehrszeit für die RATP, ich meinte, zu verstehen, dass auf einigen U-Bahn-Linien gestreikt wird. Ich begebe mich also auf den S-Bahnsteig, und ein seltsames (Ton-) Phänomen tritt auf...
...mit der Fahrstuhlmusik abwärts in die U-Bahn. Lautsprecher verbreiten einen selbstverständlich farblosen „Wasser-Jazz”. Hierzu gesellt sich ein kleines Symphonieorchester mit fünf Violinen und drei Kontrabässen am oberen Ende der Rolltreppe, unten spielt ein Blinder mit einer Rhyhtmusmaschine Synthesizer. Regelmäßig (ungefähr alle vier Minuten) werden die Lautsprecher, welche allgegenwärtig sind, sobald sich das Murmeln der Gespräche etwas beruhigt, von der Stimme eines Bahnhofsvorstehers im Sturm genommen : „Ein Zug hat Einfahrt, treten Sie für Ihre Sicherheit bitte von der Bahnsteigkante zurück”.
Es gibt Leute, die Musik machen, ohne zu wissen, was sie machen. Sie brauchen sich dann nicht zu wundern, dass ihre Musik in Aufzügen endet. |
Wir leben in einer gesättigten Welt. Man übersteigert mit Musik, mit andauernden Rhythmen, welche ohne zu denken mit dem Fuß tappen lassen. Genau dies geschieht, jedermann schlägt mehr oder weniger im Rhythmus des faden Jazz mit dem Fuß oder mit dem Finger. Nein, ich sehe manche, die anders mit dem Fuß tappen, die meisten von denen haben einen Kopfhörer auf. Diese ernste Stimme, die jedesmal, wenn ein Zug kommt, das Wort ergreift, ist wirklich abgedroschen, mühselig, ein Lied ohne Ende. Er muss das seit einer Stunde machen, das tut weh, das hört man an seiner Stimme. Er sagt es etwas anders, sucht den Ton, manchmal pustet er, er regt sich auf, wenn er im Augenblick des Türenschließens ein Problem im Waggon Nr. 2 (oder 4 oder hinten) ansagt. Ich kann nicht sagen, welches diese Melodie, welche ich höre, ist, ich kenne sie, das Problem ist, dass ich nicht sagen kann, ob es sich um Mozart oder Herbert Léonard handelt. Ohne jeden Zweifel ist es eine auf der Elektronenorgel verfälschte bekannte Melodie. Ich bin vielleicht der Einzige, der sich diese Frage stellt, denn allen ist es egal. Ich fahre mit der Rolltreppe nach oben, jetzt ist es sicher, es ist Vivaldi Die vier Jahreszeiten, die Streichergruppe spielt im Halbkreis, sie sind zu acht und schauen beim Spielen auf die Decke, manchmal wenden sie das Blatt. Die Abwesenheit des Körpers bei klassischen Musikern bis hin zum Fehlen von Armen und Beinen im Marmorabbild von Schubert, Beethoven usw. hat mich schon immer gewundert. Allein die Büste genügt, um klassische Musik zu machen, alles ist im Kopf. Diese Station (Oper) ist ein Warteraum, in dem Hunderte oder gar Tausende von Menschen beide Beine auf der Erde und den Kopf in einer Schallwolke einherschreiten. Wäre es nicht das Ziel der RATP, welche ohne jeden Zweifel beteuern würde, dass sie Musikfreund ist, den Reisenden zum Schlafwandler zu machen ?
Photo : Gilles Paté |
Denn die Fahrstuhlmusik in der U-Bahn scheint mir in einer ganz und gar alltäglichen Wirklichkeit eine unwirkliche Lage zu schaffen : Hier sind Reisende in ein Bad musikalischer Süßigkeiten getaucht, welches unzweideutig an das Kanapee beim Telefilm erinnert. Ein im U-Bahn-Bereich irreeller Komfort, in welchem sich aber Reisende und Polizisten wie Schauspieler in einem Telefilm, wo niemand das Programm wechseln kann, bewegen. Dies erinnert mich an eine berühmte Fernsehserie der sechziger Jahre : Der Gefangene, in welcher sich die Individuen mit Nummern riefen. All diese Nummern lebten in einem künstlichen Dorf, in dem sie ein Leben nachahmten. Der Held suchte ständig, zu entkommen. Allein... sein bester Freund, das Schweigen, war auch sehr selten. Die RATP spricht von „freiem Geist”, nicht vom Körper. Will man die U-Bahn humanisieren, indem man das Lebendige verbietet ? Selbst das kleine Orchester, welches Vivaldi interpretierte und zumindest den Vorteil hatte, aus lebendigen Musikern zu bestehen, kann jetzt nicht darauf verzichten, ein Tonbandgerät zu benutzen, um Stimmen „nach Opernart” zu verbreiten ; sie spielen darüber. Die Leute werfen Geldstücke in einen Hut. Hier ist es nämlich unmöglich, auf das, was gespielt wird, eine Antwort zu geben. Hat jemand ein Interesse daran, die Stille zu erdrücken ? Wem käme sie zugute, wenn sie existierte ? Das Schweigen ist der Nullpunkt von etwas, was beginnen wird. Hier kommt es nicht in Frage, zu beginnen, sondern weiterzumachen.
Wo man Arbeitskräfte der Verkehrsbetriebe in Nantes Verantwortung auf sich nehmen sieht.
Verwirrung ist nicht gegeben, man muss sie ausüben. (gehört in der U-Bahn) ein Straßenzeitungsverkäufer :
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Ich habe mich ein wenig über die jetzt in den Bahnhöfen allgegenwärtige Musik erkundigt : Sie ist das starke Glied eines groß angelegten Sicherheitsplanes in der U-Bahn. Ein Kontrolleur sagte mir : „Ja, um sechs Uhr früh sind die Leute recht froh, eine kleine Stimmungsnote zu haben, das gibt ihnen ein Sicherheitsgefühl”, „Es ist im Allgemeinen eine ruhige und angenehme Musik”. Er sagte mir auch, dass er lieber Rock hätte, aber das ist zu schnell. Tatsächlich habe ich festgestellt, dass das Tempo der Tonbänder in der U-Bahn ungefähr 40 bis 60 Viertelnoten pro Minute beträgt, d.h. dass es dem Puls im Entspannungszustand entspricht. Scharfe Tonfarben werden zugunsten von süßlichen Violinen, Saxophonen und Synthesizern vermieden. Er sagte mir auch, dass die Musik mit der Tageszeit wechselt. Man könnte glauben, dass sie gemäß der Anzahl der Züge wechselt, heute ist sie lentissimo, es wird gestreikt.
Von überall wird man überladen, da ist auch so etwas wie ein gedämpftes Grollen, die Leute wagen es nicht, ihr Glück zu beschreiben, wenn sie so viel Komfort verteilt sehen, Musik für alle, Sicherheitsansagen für sie allein, „Lassen Sie bitte beim Öffnen der Türen zunächst aussteigen, bevor Sie einsteigen”, Zeitungs-, Schokoladenkioske, Telefone in Griffweite... Und dann, zu dumm, da bittet jemand um einen Franc, er ist schmutzig, er stinkt. Doch es kommt nicht in Frage, zu sagen, dass er hier auf dem Boden eines Rattenloches lebt.
Nein, hier gibt es wirklich keinen Boden, es gibt keine Höhen und auch keine Tiefen, das ist Schallgleichschaltung für Alle. Diese Musik ähnelt einem Farbanstrich, um die Schmutzflecken des Lebens zu überdecken.
P.S. : Vorhin war ich an einem ganz anderen Ort, dem Quick im Villette-Park, denn ich kam vom Salon de l'Étudiant in der Großen Halle. Dort riecht die Musik nach Burger, sie dient nur als Gewürz. Dies ließ mich an einen Ausdruck in Studentenfeten denken. Um den Ton aufdrehen zu lassen, ruft jemand fröhlich : „Los, mach mal Soße drauf ! ”
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Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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