Les périphériques vous parlent N° 2
HERBST 1994
S. 22
deutsch
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zum 6. Kapitel : Linearität und Komplexität
 Die Zusammenhänge der Krise 

Bulle Ogier Porträt von Bulle Ogier in Der brennende Busch von Beccafumi

7. Multi-Aktivität

Bei der Multi-Aktivität geht es weniger darum, sich von Anfang an die Mittel zu geben, „verschiedene Arbeitsplätze” zu besetzen, als vielmehr darum, einen breiten Blick auf seine Lage und seine Kapazitäten, sowohl im persönlichen, als auch im interaktiven Bereich, zu bekommen. Die Entwicklung der Fähigkeiten, die die Multi-Aktivität betreffen, wird davon abhängen, wie sich die Menschen anpassen können, um Produktion, Lehre, Freizeit, Sozial- und Familienleben imselben Zeit/Raum zu organisieren.

Der eindimensionale Mensch ist par excellence das Subjekt und Objekt der Organisation à la Taylor, „ein Mittel unter anderen”. Eher als eine Ausweitung des Handlungsfeldes im Rahmen des Berufes verstehen wir unter Multi-Aktivität die Möglichkeit für den Menschen, seine Handlungsfähigkeit zu erweitern. Es geht für ihn nicht nur darum, seine Aktion im Arbeitsbereich zu vervielfältigen. Zunächst muss er einen weiten Überblick über die Lage besitzen, „entschlossen” sein, das Wort ist wichtig, in allen Bereichen des Lebens tätig zu werden. Von da an ist das Leben Eins und unteilbar, und daher komplex. Berufs- Familien- und Sozialleben bilden eine kulturelle Einheit. Die Entwicklung der Kapazitäten, die die Multi-Aktivität betreffen, wird von nun an von der Fähigkeit des Menschen abhängen, Produktion, Lehre, Freizeit, Sozial- und Familienleben in ein und demselben Zeit/Raum zu gestalten.

Der Interpret ist nur schlecht darauf vorbereitet, zu verstehen, was sich außerhalb der Sphäre seines erlernten Berufes befindet. Formell glaubt er, dass das gut so ist. Die schnelle Entwicklung der Techniken überholt seine beruflichen Fähigkeiten. Er fühlt sich fallengelassen und alt gegenüber einer Welt, die er schlecht versteht. Dies kommt daher, dass die Erziehung (Familie, Schule, Universität) kaum dazu ermutigt, sich aus den Gewohnheiten, welche die Betrachtungs-, Denk- und Handelnsarten und -weisen der Epoche beschränken, herauszuwagen. Der Student z.B. „lebt” nicht an der Universität, er „durchläuft sie nur”, um ein Diplom zu erwerben, das ihm eine Karriere eröffnen soll. Dieses Vorgehen entspricht immer weniger der Wirklichkeit. Leben und sein Leben organisieren zu lernen wird viel nützlicher und notwendig, um einen Beruf auszuüben. Die Berufe selbst entwickeln sich schneller als die Fähigkeit der Menschen, sie auszuüben. Daher wird die dauernde Weiterbildung ein must, aber gleichzeitig ist diese Bildung immer schwieriger zu entwickeln. Universitäten und Unternehmen müssten eine neue Art von Zusammenarbeit einleiten, und damit beschäftigen sich weder die Einen (Staat, Gemeinden, Institutionen, Unternehmen), noch die Anderen (Schulen und Fakultäten, Studenten und Lohnempfänger). Die angeborene Fähigkeit, sich dem Wandel anzupassen, ist leider eine seltene Qualität [ siehe Fußnote ], sagen wir, dass man besser versuchen sollte, zu lernen, sich und die Dinge zu ändern.

Wir sind davon überzeugt, dass ein neues Produktionssystem das alte ablösen wird, möglicher Weise unter Schwierigkeiten, doch unausweichlich. Man kann sich vorstellen, dass in diesem System Produktion, Forschung und Bildung am gleichen Ort zur selben Zeit stattfinden. Auf welche Art und Weise ? In welcher Art von Strukturen und mit welchen Anordnungen ? Dies sind Fragen unter sicher noch vielen anderen, auf die wir noch eine Antwort suchen müssen.


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Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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Dies ist allerdings nicht meine Ansicht. Ich glaube, die Fähigkeit, sich dem Wandel anzupassen, ist tatsächlich angeboren (ich spreche hier aus meiner persönlichen Erfahrung : Sollte ich denn einer dieser seltenen Vögel sein ?). Sagen die Biologen nicht vom Menschen, dass er das einzige Tier ist, das in der Lage ist, sich (bewusst und wenn nötig mit technischen Mitteln) den extremsten Lebensbedingungen anzupassen ? Was allerdings die Regel zur Ausnahme werden lässt, ist die Tatsache, dass das westliche Bildungssystem diese Fähigkeiten nicht gerade fördert, mit der Folge, dass man das, was man in der Schule verlernt hat, nachher wiedererlernen müsste, wenn man nicht von klein auf (von Geburt an ?) das Bedürfnis, den Willen und die Kraft hatte, dieser intellektuellen Amputation Widerstand zu leisten. (Anm. d. Übers.)