WINTER 1995/1996 S. 25 |
Theatralität/Politik : Über eine gewisse Artenvermischung |
Solo |
Ich möchte über den Konkurrenzgeist in Konzerten sprechen. Man spielt ein Stück : Da ist ein Gitarrist, ein Perkussionist, ein Pianist und eine Sängerin. Somit spielen vier Personen zusammen. Zusammen in dem Sinne, dass sie auf dem kleinen Bühnenraum gruppiert sind. Das Stück beginnt, Schlaginstrumente und Gitarre spielen dasselbe Thema auf verschiedenen Oktaven, aber im selben Rhythmus. Schon geht das Piano völlig auf Distanz, die Sängerin fliegt in unerschwingliche Höhen, sie hat die Augen geschlossen ; sie hat mir ihre Augen verschlossen. Ich habe vor mir eine Frau, die auf der Bühne für sich allein singt. Ich komme zum Gitarristen zurück ; der jetzt auch die Augen geschlossen hat und selbstgefällig seinem Kumpel, dem Perkussionisten zulächelt. Der Pianist bleibt beiseite und wirft seinen Kumpels kurze Blicke zu. Die Frau bleibt allein vor der Bühne, hat die Augen immer noch geschlossen ; zufrieden mit dem regelmäßigen Händeklatschen des Publikums beginnt sie, zu lächeln. Letzteres schätzt den Exotismus, vor Allem mit dem Arsch in einem Sessel und vor sich ein geistiges Getränk. Jetzt, wo jedermann die Sache wohl verstanden hat, beginnt man mit den Soli. Zunächst die Gitarre, der ist wie weggetreten, von Weitem vom bereits „wohlverstandenen” Lächeln seiner Kumpels und des Publikums begleitet, Ende des Solos, er kommt wieder auf die Erde, „so sind die Artisten”, denkt das Publikum. Nun ist der Pianist an der Reihe, er macht sich ans Saxophon. Der gleiche Ausdruck wie sein Kumpel der Gitarrist, das gleiche Zappeln von oben bis unten, die Grimasse einer vorgetäuschten, hunderttausendfach wiedergekäuten Extase. Die Sängerin macht sich ebenfalls daran. Der Perkussionist muss sich fragen, wie er es fertig bringen wird, sich von den Anderen zu unterscheiden... Das geht, er ist sich seiner Sache sicher, er weiß, dass er derartig andersartige Objekte, Instrumente, als die der Anderen hat, dass das schon klipp und klar ist. Er spielt sein Solo. Jedermann ist zufrieden, applaudiert und zündet eine Zigarette an. Worüber ich spreche ? Ich spreche vom allgemeinen Show-Business, sei es auf den großen Bühnen oder auf der Straße, in Schulen, Universitäten, Geschäften... diesen Mangel an Willen, sich an den Anderen zu wenden, sich für den Anderen zu interessieren ; diesen unerträglichen „Egozentrismus”, welchen man überall dort findet, wo „das sich ausdrückt”, und der darin besteht, den Zuhörer oder Zuschauer glauben zu lassen, dass die Kunst ihnen von ihrem gnädigen Absender bescheiden überreicht wird. Was man davon behält, ist der Eindruck, dass es tatsächlich vom mehr oder weniger gnädigen Diener (Absender) „bescheiden überreicht” ist und dass das sehr genugtuend sein muss. Was bedeutet das für mich ? Nichts mehr, als das, was ich hier geschrieben habe, d.h. dass sich vor mir jemand ausstellt, der sich ausstellt : nichts mehr, als so, wie er in der Natur ist, außer, dass er sich hier ausstellt. Er hat für mich keine besonderen Gedanken übrig : Ich befinde mich in der Lage, das, was sich vor meinen Augen abspielt, genau so zu betrachten, wie ich die erleuchteten Fenster der Wohnungen gegenüber betrachten könnte, wo ich das, was nicht für mich gespielt wird, nach Belieben interpretieren kann.
DEN BITTEREN APFEL AUFTEILEN „Seit 1970 hat sich die relative Lage der jungen Leute ständig verschlechtert ; die Bewegung ist zwischen 1987 und 1994 besonders deutlich gewesen. Gemäß dem INSEE handelt es sich um eine seit Kurzem aufgetretene Erscheinung. Während der Lebensstandard der weniger als Dreißigjährigen in den siebziger Jahren dem der Vierzig- bis Sechzigjährigen vergleichbar war, ist er heute im Schnitt der niedrigste aller Generationen. Seit 1975 ist der globale Wachstum der Haushaltseinkommen den jungen Leuten nicht zugute gekommen ; sie sind aber die Hauptopfer der Krise, Arbeitslosigkeit und Verunsicherung der Arbeitsstellen gewesen ; Armut hat sich unter ihnen breitgemacht.”
Unter dem Arsch der Hausfrauen will unser großes Land die Zukunft warm und ruhig halten. „Colette Codaccioni, leidenschaftliche Kreuzzüglerin der Werte und neuer Minister der Solidarität zwischen den Generationen, bereitet sich darauf vor, eine Reform der Familienpolitik zu starten. Hinter dem, was davon die Hauptwaffe darstellen sollte, der « Elternbeihilfe zur freien Entscheidung », profiliert sich das Müttergehalt mit all seinen perversen Folgen.”
„Die Solidarität zwischen den Generationen” wird die Straßen von all diesen weiblichen „Anblicken” und diesen jugendlichen Turbulenzen, welche für den Geldbeutel und den Stolz der guten Ordnung kostpielig sind, säubern. |
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Am Ende ist der Unterschied zwischen einem Spanner und einem Zuschauer nicht allzu groß : Alle beide erfassen Dinge, welche sie sich genau so aussuchen, wie es jemand machen könnte, der eine Pizza bestellt. Es gibt keinen Austausch. Dennoch scheint die Idee, welche man sich darüber macht, zu sagen, was man zu sagen hat, selbstverständlich zu sein. Doch an wen wendet man sich ? Wofür ? Die ersten Schuljahre bringen mir Vieles bei : Die Lehrerin wendet sich an kleine Kinder ; heutzutage frage ich mich, was ihre Erfahrung sie über das, was sie sind und über die Art und Weise, wie sie zu ihnen spricht, glauben lässt. Und wie steht es um die Fertigkeit der kleinen Kinder ? Ich erinnere mich daran, dass es eine Einhelligkeit gab, welche dazu führte, dass meine Klassenkameraden Antwort gaben, wenn sie wussten, was man von ihnen erwartete, und wenn die Antwort nicht die erwartete war, dann bekam man kein Bildchen, und so war man an das Nichts verwiesen, denn in den Klassen der Kleinsten war das Bildchen das Spiegelbild des braven, anerkannten, unterworfenen Kindes. So lernt man sehr früh, zu sagen, was man von uns hören will und nicht zu machen, was Manches uns sagen lassen könnte : Letztendlich kommt man sehr schnell dazu, sich nur noch um die Idee zu sorgen, wie sich das macht, wenn man spricht. Ich habe dies im Gymnasium beobachten können. Ich suchte, den anderen Mädchen ähnlich zu werden : sei es durch meine Kleidung oder durch meine Einstellung, aber es dauerte nie sehr lange, bis ich mich wieder als jemand fand, die sich frug, wer sie war und warum sie so sehr eine Andere hatte sein wollen. Ich stellte fest, dass ich, wenn ich mich an mir nahe stehende Leute wandte, in dem, was ich sagen wollte, gefangen war und mich im Sprechen einen Augenblick lang vergaß. Sofort danach hatte ich den unangenehmen Eindruck, etwas zu viel überlaufen gelassen zu haben.
Etwas später fand ich an der Hochschule der Künste Aufnahme : Wieder finde ich dasselbe, Professoren-Professoren, die zu Studenten-Studenten über ihre absoluten Erkenntnisse sprechen, Artisten-Studenten, welche von der Idee, die sie sich selbst von zukünftigen Artisten machen, sprechen und genau so zuhören, wie sie glauben, dass ein zukünftiger Artist zuhören muss. Man kommt daraus nicht heraus. Es gibt Verwechslungen um das Wort Persönlichkeit : Es hat die Bedeutung von etwas angenommen, was völlig naturgegeben wäre, was manche Leute haben und andere nicht, genauso, wie ein schöpferisches Genie oder einen „Look”, den man hat oder nicht hat.Ich habe gelernt, dass das Gewicht, welches man auf das legt, was man dem Anderen sagt, die Ausübung seiner Persönlichkeit bedeutet : Genau dieses Vergessen der Vorstellung, welche man von sich hat, wenn man sich an jemand wendet, lässt uns uns entdecken, überlaufen, werden.
Die Leute entdecken sich seit einigen Jahren nicht mehr sehr : Die Obsthändlerin ist Obsthändlerin, der S.D.F. in der U-Bahn spricht zu den Leuten mit dem Ton der Idee, die er sich von ihren Gedanken über die S.D.F. macht, die ewigen Interpreten von Molière und Racine bemühen sich darum, die Idee, welche sie sich über die Gedanken des Autors gemacht haben, zu zeigen, die Musiker schließen vor ihrem Publikum die Augen, was die schwierige Aufgabe, ein „gutes Feeling” zu finden, glaubwürdiger macht.
Das Publikum, allgegenwärtig, beobachtet, was sich vor seinen Augen abspielt, es versucht, etwas zu verstehen, vielleicht träumt es im Stillen davon, dort, wo es noch nicht möglich ist, mit einbezogen zu werden ? Dort, wo es aufhören wird, das Geschehen zu betrachten, um sich selbst daran zu machen, dafür zu sorgen, dass etwas geschieht.
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Theatralität/Politik : Über eine gewisse Artenvermischung | |
Grenzen des Wettbewerbs, oder die Pflicht zur Empörung |
Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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