HERBST 1994 S. 37-39 |
Universität : von der Durchgangsstation zum Lebensraum | |
Argumente und Vorschläge | |
Lebensrahmen,Arbeitsraum |
Mit der aktuellen „strukturbedingten Arbeitslosigkeit” verdeckt die ausschließliche Suche nach einer Stellung völlig die Wahl der Arbeit. Die Besessenheit der Denkgewohnheiten, sich an die verlorene Sicherheit des Arbeitsplatzes zu klammern, nährt eine schreckliche Sozialkrise. Wir werden wohl etwas Anderes als Lohnempfänger werden müssen, wenn unsere „Arbeitgeber” nicht mehr in der Lage sind, uns Arbeitsplätze anzubieten. Im Rahmen der aktuellen Debatten über den Platz der Arbeit in der Gesellschaft kann man die Frage nach ihrem „Wert” für den Menschen nicht mehr vernachlässigen.
Die Arbeitsfrage, die heutzutage völlig vom Arbeitsstellenmangel abhängt, bedeutet nichts Anderes als den immer schwierigeren Kampf um einen Platz auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig führt die Unterordnung der Wahl der Arbeit unter die wirtschaftlichen Zwänge des Augenblicks in einem Klima von allgemeiner Arbeitsplatzunsicherheit dazu, dass die Hilfswege der Eingliederung und die Goldmine der kleinen Jobs das ganze Feld der menschlichen Entwicklung ausfüllen.
ARBEIT :„Was einen sichtbaren Unterschied in das Wissensfeld einführen kann, um den Preis einer gewissen Mühe, möglicher Weise mit dem Lohn eines gewissen Wohlbefindens, d.h. der Erlangung eines neuen Blickes auf die Wahrheit”. |
Besser unterbezahlt als arbeitslos. Mit diesem Prinzip wollte man die Einführung eines CIP rechtfertigen. Dies war nur eine Umschreibung, die eine andere Logik verbarg : Eine ganze Generation dazu zu bringen, ihre eigene Zukunft opfern und sich an den Rand einer Unter-Arbeiterklasse drängen zu lassen. Wenn man sie so hört, könnte man meinen, dass „Eingliederung” beinahe so etwas wie „auf das erstbeste Produktionspferd zu springen” bedeutet. Dies ist sicherlich keine Zukunft, es ist noch nicht einmal eine Gegenwart. Für uns kommt es überhaupt nicht in Frage, sich auf dem Arbeitsmarkt, so wie er heute aussieht, einen Platz zu schaffen. Es gibt heutzutage keinen ernstzunehmenden Wirtschaftswissenschaftler, der nicht klarstellt, dass „gleich wie hoch auch der Wirtschaftswachstum sein mag, er keine neuen Arbeitsplätze schaffen wird”.
Wenn man den Ursprung des Wortes Arbeit (d.h. des frz. travail, Anm. d. Übers.) sucht, kann es einem kalt den Rücken herunterlaufen. Eine Etymologie kommt vom lat. tripaliere, das mit dem Dreizack foltern bedeutet. In der Griechischen Mythologie berichten die Arbeiten des Herkules eine göttliche Strafe. In der Bibel krönt das Gebot : „Mit Schmerzen sollst du gebären” die Schwangerschafts-„Arbeit” der Frau. Und nicht die Vorschrift zu vergessen, die man an der gleichen Quelle findet : „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen”.
Offensichtlich befinden sich diese Konzepte, die die Arbeit mit Folter, Bestrafung und Schmerzen in Verbindung setzen, völlig im Gegensatz zu den aktuellen „sozial-ideologischen” Debatten. Nach unzähligen Kämpfen gegen die Ausbeutungsgesellschaft strukturieren die Problematiken der Entfremdung des Arbeiters weiterhin die Forderungen der sozialen Gemeinschaft, aber nicht mehr unter der bewussten Form des Klassenkampfes, sondern durch eine Art von kultureller Konditionierung, welche sich meist unbewusst vollzieht.
DER UNENTBEHRLICHE ANGESTELLTE Man empfahl Herrn K. einen Angestellten, der schon zahlreiche Dienstjahre auf dem Buckel trug. Man behauptete von diesem Musterangestellten, dass er unentbehrlich wäre. „Wieso denn unentbehrlich ?”, frug Herr K. gereizt. „Ohne ihn würde der Laden nicht laufen ?”, sagt Herr K. „Er hat doch Zeit genug gehabt, um seine Abteilung zu organisieren, um nicht mehr unentbehrlich zu sein. Womit beschäftigt er sich in Wirklichkeit ? Ich sage es Ihnen : Er treibt Erpressung !” (Auszug aus Bertolt Brecht : Almanachgeschichten) Dies ist eine „Rück-Übersetzung”. Der deutsche Originaltext stand mir hier leider nicht zur Verfügung. (Anm. d. Übers.) |
Die „Verdammung”, die die Arbeit darstellte, drückt sich durch die banale Formel aus : Aktivität, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, die sich praktisch ausschließlich auf die Lohnarbeit bezieht. Der Lohnempfänger ist jemand, der seine Arbeitskraft gegen die Konsumkompensationen verkauft. Sein Leben folgt dem Marktrhythmus. Der Markt strukturiert seine Kultur, seine Denkens- und Handelnsarten und -weisen.
Diese Strukturierung der Denkarten hat Arbeitswelt, Lebensraum, Familienleben und Freizeit gegeneinander abgegrenzt und ist so tief verwurzelt, dass man sich in einer Diskussion über freie Zeit und Arbeitszeitsverkürzung fast immer unwillkürlich auf eine sozusagen eingefangene Produktionszeit bezieht. Von daher würde die Forderung nach einer Lebensqualität meistens nur den subjektiven Wunsch bedeuten, den Arbeitsstress zu mildern oder etwas „tote Zeit” zu gewinnen, um sich ins Privatleben zurückziehen zu können.
Während die Arbeitsplatzsicherheit, welche die Lebensstabilität des Lohnempfängers verankerte, erschüttert ist, wird die Arbeit immer weniger die Anstrengung jedes Einzelnen ausdrücken, sich in der Gesellschaft einen Platz auf Lebenszeit zu schaffen.
Man wird sich wohl oder übel dazu entschließen müssen, die Frage anders anzugehen, denn sie bezieht sich nicht so sehr auf das Statut, als auf den Wert der Arbeit und auf die Lebensorganisation. Man muss auch lernen, sich von den Konditionierungen der Lohnempfängermentalität zu befreien, denn wenn wir Lohnempfänger oder Angestellte bleiben wollen, haben wir immer weniger Zukunft.
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Universität : von der Durchgangsstation zum Lebensraum | |
Ausgegrenzt, verstoßen, versklavt |
Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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