HERBST 1994 S. 42-43 |
Ausgegrenzt, verstoßen, versklavt | |
Argumente und Vorschläge | |
Und wenn die Kunst denjenigen, an den sie sich wendet, zum Schöpfer machen wollte ? |
Aus dem Recht, sich auszudrücken, ein demokratisches Recht zu machen bedeutet, es allen Kulturmachenden zu erlauben, sich auszudrücken. Bürokratien erweisen sich heute als unfähig, der Notwendigkeit, in der Gegenwart zu leben, eine Antwort zu geben. Der Kulturmarkt richtet sich selbst am allgemeinen Markte aus und preist den Konsum des Produktes an, und sicher nicht seinen „Gebrauch”. Eine andere Art Kultur, eine „Kultur in Bewegung” kommt auf, und dies verpflichtet uns, uns aller hergebrachten Ideen zu entledigen, die die kulturellen und künstlerischen Ausdrucksformen mit sich bringen.
Sicher sind schöpfen, Schöpfung, Schöpfer, Schöpfungskraft hoffnungslose Wörter, die allerlei Dummheiten mit sich herumschleppen und zur Geheimnistuerei neigen. Hier müssen wir allerlei widerwärtige Verwechslungen ausräumen. Diese Wörter sind von widersprüchlichen Bedeutungen und sinnübergreifenden Anspielungen überladen und von „Idealbildern” verseucht. Heutzutage muss man diese Wörter in Handlungskonzepte verwandeln und sie in einem Raum relativisieren, wo man sie genau definieren kann.
Wir betrachten die Kunst nicht als etwas über dem Leben Stehendes, das Privileg DES Artisten, die Erleuchtung einiger Auserwählter, die Gelegenheit, zu bewundern und zu betrachten, zum Ruhme DER Schöpfung. Nein, die schöpferische Aktivität wird zu oft von der Anbetung der Werke und der kulturellen Produkte überdeckt, was jeden Erkenntnisprozess unmöglich macht. „Anschauen, aber nicht anfassen !” kann für uns nicht das Ziel der Kunst sein. Wir verurteilen die Konsumkunst. Diese Art von Kunst lässt uns nicht leben. Sie ruft nicht zum „künstlerischen Gebrauch”, zur Aktivität, zur Praxis auf.
Wir wollen vielmehr entdecken, was in der Kunst Leben und Bewegung mit sich bringt, und nicht den Schwung der künstlerischen Geste mit gelehrten Kommentaren überdecken. Jede Ausbildung bleibt steril, wenn sie nicht von einer Praxis begleitet wird, und von der Kunst gilt dasselbe. Was zählt, ist der Nutzen, den man im täglichen Leben aus der Kunst zieht, was sie auf allen Ebenen unseres Lebens bewirken kann.
Anfang dieses Artikels | |
Und wenn die Kunst denjenigen, an den sie sich wendet, zum Schöpfer machen wollte ? |
Morgen gehört Allen, muss von Allen für Alle gemacht werden ! Ja, wie die Poesie, wenn sie im täglichen Leben entsteht. Sollte man nicht dem Wort Poesie wieder seine Bedeutung Produktion geben, vom gr. poien ?
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Wenn wir daher von Kunst sprechen, schlagen wir vor, sie immer mit ihren Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik, Kultur und Kommunikation zu betrachten. Sie müsste jede menschliche Aktivität betreffen und eine dauernde Tätigkeit darstellen. Die künstlerische Aktivität müsste aus den Vorurteilen der herrschenden Meinung und der vorgefassten Ideen als Besonderheit, die ihre eigenen Maßstäbe setzt, heraustreten. Diese Aktivität soll uns dazu antreiben, neue Kriterien zu schmieden, anders zu sehen und zu verstehen, Stellung zu beziehen, unser Blickfeld auszuweiten. Der künstlerische Akt gäbe unserem Leben und unserer Entwicklung einen Sinn, würde uns aus der Zeit herausreißen, die vorbeigeht und die nichts ändern kann. Dies wäre der Motor des Lebens, der uns dazu aufriefe, in der Gegenwart zu handeln, zu handeln, um zu verstehen.
Wir glauben, dass die Gesellschaft in ihrer jetzigen Form nicht demokratisch genug ist. Insbesondere kann man sich in den existierenden Kulturstrukturen nicht frei „in Echtzeit” ausdrücken. Hier sind wir zu einer Art „nachträglicher” Kultur verurteilt, die es vorzieht, Kulturprodukte an Stelle der kulturellen Aktivität selbst zu „programmieren”. Das Leben bedeutet für uns, sich frei ausdrücken zu können ; es ist die Freiheit, in der Gegenwart zu leben und nicht zu warten, bis man an der Reihe ist. Wir wollen uns selbst ausdrücken und nicht die Kultur machen, die die Institutionen uns gerne machen sehen wollen oder die die Pauschalurteile der Büros in „selektiven Akten” vorschreiben. Wir wollen, dass Kultur in der Gegenwart gemacht wird. Daher treffen wir entschlossen die Wahl, uns selbst auszudrücken und so unsere Kultur zu machen, ohne darauf zu warten, dass man uns die Mittel dazu gibt. Andererseits kämpfen wir um die Mittel, sie leben zu lassen. Wie alle Bürger haben wir Rechte, gleich was die Bürokraten dazu sagen mögen.
Folgende Gründe haben uns dazu veranlasst, eine solche Stellung zu beziehen :
Die institutionellen Instanzen für die Unterstützung des künstlerischen Schaffens verlangen einen Aktenberg, die Kommissionen, die ihr Jawort für das „Fortschreiten” eines Projektes geben müssen, sind so zahlreich, das es dem Leben immer weniger möglich wird, sich auszudrücken. Die Verfahren für die Realisation kultureller Werke werden immer länger und zwangvoller. Diese betreffen im Übrigen meistens nicht das Projekt selbst, sondern nur die materiellen Bedingungen seiner Realisation, vor allem seine Finanzierung. Um seine Forderungen in den Augen der Institutionen klar zu machen, braucht ein Projekt derart viel Zeit, dass der Enthusiasmus vergeht, die Energie sich verbraucht, und so wird die Subversivität entschärft, die es hat entstehen lassen.
Wenn der politische Akt selbst zum poetischen Akt par excellence wird, der Augenblick, wo sich politischer und poetischer Akt im Leben treffen, dies ist der reine Akt der Jugend. Er ist selten, zu selten.
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Seit einem Jahrzehnt kann man feststellen, dass Institutionen, Medien und das sogenannte kulturelle Milieu das Wort Schaffen benutzen, um die Werke, dieses berühmte „Endprodukt” zu bezeichnen. So lenkt das Werk die Aufmerksamkeit vom künstlerischen Schaffen selbst ab. So wird der Raum der künstlerischen Wirklichkeit, wo „das einen Sinn gibt”, verdeckt. Es gibt in der Tat keinen öffentlichen Raum für die künstlerische Wirklichkeit. Das gewöhnliche Publikum weiß nichts vom Schaffensprozess, der zum künstlerischen Resultat führt. Der lebendige Ausdruck der Kultur im Entstehen ist nicht mehr sichtbar, nur seine erstarrte Form, sein kaltes Bild. An den Orten, wo die Kultur „sich zusammenbraut” gewinnen diejenigen, die sich in den Korridoren der Institutionen auskennen, allmählich die Oberhand, die Kultur wird wie eine Wiederholungssendung programmiert. Kulturspektakel ? Nein danke !
Um dieses „Monument, das sich Kultur nennt,” aufrechtzuerhalten, vergeudet der Staat ansehnliche Summen. Es handelt sich doch nur um eine Kultur-Abbildung, deren einzige Zukunft es ist, dem begeisterten oder uninteressierten Publikum vorgesetzt zu werden. Um die große Bewegung, die unsere Zeit erschüttert, zu unterstützen, reicht es heutzutage sicher nicht aus, selbst hochwertige Kulturprodukte zu programmieren. Das hat mit der Dringlichkeit, in dieser Epoche zu leben, nichts zu tun. So ist es nicht möglich „Kultur zu ersinnen”, und noch weniger, ihre Formen oder ihren Inhalt zu suchen. Man kann nur von Orten sprechen, wo man eine Zeit lang kulturelle Spektakel „ausstellt” oder Spektakelvorstellungen gibt.
Warum stellt man nicht einfach folgende naive Frage : könnten der Staat und die von ihm abhängigen Organismen und Institutionen nicht z.B. einen Teil des Budgets, der der „Schöpfung” zugedacht ist, Projekten widmen, die sich auf das Lebendige, die Gegenwart, auf die Kultur in Bewegung, die „sich macht”, stützen ? Und wenn diese Frage weniger naiv erscheint, könnte man nicht Orte, Räume, Kulturzentren, Theater der kulturellen Aktivität zur Verfügung stellen, wenn sie das Ziel hat, „Kultur zu machen” ? Wäre es nicht möglich, für diese Projekte eine Form von institutioneller Begleitung zu schaffen, die selbst eine wichtige kulturelle und soziale Geste wäre, um die Umwälzungen dieser Epoche zu begleiten ? |
Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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