HERBST 1994 S. 57-59 |
Die Ausbildung im künstlerischen und schriftstellerischen Bereich | |
Erste Antworten |
Photo Florent Maillot |
Die Unsicherheit, in der die „Jugend” gelassen wird, und auf jeden Fall die Offensichtlichkeit einer „Jugend von Natur”, nährt auf der politischen Ebene einen Alterskorporatismus, eine Generationenlobby, die sich z.B. in Holland in der Gründung einer „Rentnerpartei” materialisieren. Des Weiteren laufen Junge und Alte, Ausgegrenzte und Arbeiter Gefahr, sich in gegenläufigen Kategorien anzuhäufen, die sich auf Identitätsmythen stützen, deren einziger Inhalt Altersprivilegien sind.
War der CIP nicht ein Mittel, um Betriebsverlegungen zu vermeiden ? Die Jugend billiger, sie zu einer unterbezahlten Arbeitskraft zu machen ist das beste Mittel, die Dritte Welt bei uns zu machen, statt dorthin zu gehen.
Doch warum straft man die Jugend seines eigenen Volkes mit Verachtung ? Warum teilt man nicht die Opfer gerecht auf, wenn sie unbedingt nötig sind ? Egoismus ist in, und so tut die Politikerklasse nichts Anderes als der Mehrheit der Wähler einen Gefallen, die ihre kleinen Errungenschaften behalten und sie von den Anderen bezahlen lassen wollen. Der Franzose ist ein seltsames Tier, das gegen alle Privilegien kämpft, solange es nicht seine eigenen sind. Und jetzt hat er anscheinend gegen seine Jugend die Scheidung eingereicht, um sein Alter behaglich verbringen zu können.
Übrigens, was ist das eigentlich, „Jugend” ? Ein Geburtsdatum ? Ein psychologischer Zustand ? Eine Etappe im Leben ? Warum führt man diesen Begriff in der Politik ein ? Warum zerbröselt man unser aller Gesellschaft in winzige Stücke, wo Jeder in seiner Einsamkeit als „Junger”, „Alter”, „Dieser” und „Jener” lebt ? Sind wir denn nicht alle Glieder des Körpers der Gesellschaft ?
Am Dienstag, dem 3. Mai 1994 haben die „Allgemeine Allianz der Alten” (AOV) und die „Union 55+” in den Legislativwahlen (in den Niederlanden, Anm. d. Übers.) zusammen sieben Sitze erlangt. Dies ist das erste Mal, dass sich eine politische Gruppe auf eine Altersklasse gründet, um ausschließlich ihre Interessen zu verteidigen. Es heißt, Martin Batenburg (75 Jahre), Präsident und Gründer der AOV, hätte nach der Wahl erklärt : „Die alten Personen stellen 30 % der Bevölkerung dar, und die Anzahl unserer Sitze kann nur steigen. Man hält uns für eine Bande Alter Irrer, aber in Zukunft muss man mit uns rechnen.” (Libération vom Donnerstag, 5. Mai 1994). Dies erstaunt um so mehr, als die Niederlande eine der fortschrittlichsten Sozialgesetzgebungen besitzen und eine Studie vor kurzer Zeit erwiesen hat, dass die Rentner über 65 Jahren ein Durchschnittsvermögen von 450 000 Francs pro Haushalt besitzen, dass unter den Empfängern des staatlich finanzierten Ruhegeldes die meisten Millionäre zu finden sind und dass von zwanzig Rentnern nur einer verschuldet ist oder kein persönliches Vermögen besitzt.
Wenn man dieses Ereignis mit dem Durchschnittsalter unserer Politikerklasse vergleicht, kann man nach den letzten Ereignissen und mit Blick auf die Demographiekurven verstehen, dass über der „Jugend”, d.h. uns selbst, eine große Gefahr schwebt, und folglich über allen, „Jungen” und „Alten”, denn in einer zukünftigen Konfrontation kann es keine Sieger geben.
Der CIP ist ein Thema, das die „Jugend” in jeder Diskussion mit den politisch Verantwortlichen, die ihn ihr aufzwingen wollten, vorrangig auf den Tisch bringen müsste. Wenn man einen derart schmutzigen Gesetzesentwurf verstehen will, muss man ihn zunächst im aktuellen politischen Zusammenhang betrachten, denn er ist das getreue Abbild der Politiker, die einen zu großen Teil ihrer Zeit beim Untersuchungsrichter verbringen, und für die die Nationalversammlung nur ein Schlafsaal für eine Handvoll Notabler ist, die die Bürger vertreten sollen. Die Zeiten der Revolution sind schon lange vorbei. Anscheinend ist die Ehrlosigkeit eine neue politische Strömung geworden, die alle Parteigrenzen überschreitet und das Interesse einer politischen Laufbahn vor allem in der persönlichen Bereicherung sieht. Die Mischung politischer „Affären” und der strengen (Ist dies ein Euphemismus ?) Nationalitätsgesetze kann die Wähler wie in Italien in eine politische Richtung ziehen, die ihnen ge-„rechter” erscheint, und da liegt das Problem.
Die Politiker haben vergessen, dass wir „jungen” Leute auch Bürger und Wähler sind, dass wir von Geburt an frei und gleich sind, ob das ihnen passt oder nicht, und dass wir aus diesem Recht heraus einen Gesetzestext, der unter dem alleinigen Vorwand des Alters die Unterbezahlung eines Teiles der Bevölkerung legalisiert, als verfassungswidrig erklären. Und als Bürger würden wir gerne wissen, was ihnen das Recht dazu gibt, das Eigentum Aller, das die ehemaligen Staatsbetriebe sind, zu verschleudern (sie wurden 15 Milliarden Francs unter ihrem reellen Wert verkauft), um ihre Strohmänner in die Aufsichtsräte schleusen zu können. Und wenn für sie der Verlust derartiger Summen nichts Besonderes ist, wie können sie dann die Almosen rechtfertigen, mit denen sie die Sozialhilfe, die AIDS-Forschung oder das Schulwesen abspeisen ? Und wie können sie behaupten, dass die Lage derart katastrophal ist, dass sie es rechtfertigt, einen Teil der Bevölkerung, die Leute unter 25 Jahren, als Menschen „zu 80 %” zu behandeln ?
Ihr Herren Diplomierte der Hohen Schule der Verwaltung, erlauben Sie uns, zu glauben, dass Ihre Sorgen nicht die unsrigen sind.
Die Demokratie beruht nicht nur auf Rechten, sondern auch auf Pflichten, und unsere Verantwortung als Bürger, „Junge” oder „Alte”, ist es, aufzustehen gegenüber einer allgemeinen Apathie, wo die Feinde des freien Ausdrucks sich von Algerien bis Italien in den Ländern breit machen, wo der Bürgersinn der Politikerklasse Schiffbruch erlitten hat.
Es besteht Dringlichkeit, denn Ermittlungsverfahren und Umfragen lösen sich gegenseitig ab und nähren das Misstrauen gegen eine Politikerklasse, die jede Verbindung mit der Wirklichkeit, d.h. mit uns selbst, verloren hat.
Es könnte sich nämlich auch in unserer politischen Landschaft ein Jirinovski oder ein Berlusconi einnisten, wenn dies nicht schon geschehen ist.
Es ist dringlich geworden, unsere Zukunft in die Hand zu nehmen, indem wir zunächst das Minimalbild einer Jugend zurückweisen, wie es uns die Medien mit Bild- und Wortschlägen einhämmern wollen. Wir sind weder „Hélène” oder „Cri-Cri-d'amour”, noch eine wildgewordene Horde von Kaputtmachern, wir sind für den Beruf gut gerüstet, die Schulabgänger sind im technischen wie im kulturellen Bereich kompetent wie nie zuvor, tragen die Hauptlast im Vereinsleben, und vor Allem sind sie nicht im Geringsten verantwortlich für die Krise, für die sie als Opfer herhalten sollen. Wir brauchen nicht auf diesen Fragebogen zu antworten, den man uns in Eile vorsetzt, wir brauchen uns nicht verpflichtet zu fühlen, ein polizeilich genehmigtes Französisch zu sprechen, wir müssen die Denkweisen dieser Leute zurückweisen, unsere eigene Kultur aufbauen und unsere Unabhängigkeit finden.
Das erscheint euch unmöglich ? Schaut doch nach vorne, statt euch immer umzudrehen. Die Zukunft reicht uns die Hand, die Entfernungen werden kürzer, und bald können wir durch die Kommunikationsnetze mit der ganzen Menschheit in Verbindung treten (das erklärt die Sorgen von Bernardo GUIDONI, der uns als Kultusminister dient, den Gebrauch des Englischen zu verbieten). Die Zeiten ändern sich, sie laufen sogar im Eilschritt, und die radikalen Wandel, die sie versprechen, machen all den Herdenmenschen Angst, die ihren Vorteil nur in der Gegenwart, wenn nicht in der Vergangenheit, sehen.
Der Mensch, gleich welchen Alters, soll dem Menschen, gleich welchen Alters, erlauben, seine Jugend auszudrücken ! Kein Bruch zwischen den Generationen !
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Wir alle, „Junge” wie „Alte”, brauchen guten Willen. Wir müssen die Diktatur derer zurückweisen, die die Welt nur durch die Brille der Audimats, Umfragen und Statistiken sehen, und selbst die Welt umdenken, die offensichtlich einige Schwierigkeiten hat, rund zu laufen. Wir dürfen allerdings keine süßen Träumer sein und unsere Folgerungen aus dem Scheitern der Ideologien ziehen, die die Hoffnungen unserer Vorgänger vernichtet haben. Wir brauchen uns nur dieses wunderbare Werkzeug, das die Geschichte uns vererbt hat, die Republik zu betrachten und ihre Entwicklung in die Hand zu nehmen, denn sie ist vor allem nicht das Eigentum der Abgeordneten.
Die Französische Revolution war ein bewusster Akt von Menschen als Reaktion gegenüber der Ungerechtigkeit einer tausendjährigen Ordnung, die sich unvergänglich glaubte. Wie viele waren es gegenüber denen, die dieses Werk für übermenschlich hielten ? Ähneln nicht die heutigen Zustände jener Epoche ? Hat nicht heute die Politfinanzklasse den Platz des damaligen Adels eingenommen ? Ist die Verteilung der Rechte in der Gesellschaft, der Sonderrechte und Privilegien nicht eine Art Vassallentum, wo Gehorsam und Schweigen mit der Sicherheit einer Pension gekauft wurden ?
Es liegt an uns, wenn wir der ganzen Gesellschaft andere Möglichkeiten und eine Zukunftsperspektive bieten wollen, die die Summe unserer Träume wäre, und die wir verwirklichen müssen. Wir müssen den Zynismus mit Verachtung strafen und an der Zukunft arbeiten.
Jérôme Le Guellec
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Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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„Hélène” : Star einer ebenso beliebten wie blöden „Jugend”-TV-Serie.